Samstag, 7. Januar 2017

Momente der Unbedeutung



Bin mit Worten gefüllt, die ich nicht in Worte fassen kann, unklare Gedanken huschen zwischen Schattenbildern umher, alles verschwimmt in Unkenntlichkeit, nichts hat scharfe Kanten, keine Ecken in Sicht, bin voller ungreifbarer Nebel und jedes Mal, wenn ich die Augen zusammenkneife in der Hoffnung endlich sehen zu können, verschwindet alles, was ich erkenne ist Leere. Wortgefüllte Leere, die ich nicht zu Papier bringen kann, weiß nicht, wo anfangen, weiß nicht wohin gehen, weiß nicht, wo ich stehen bleibe.

Ich glaube, ich muss tanzen gehen. Tanzen, bis meine Füße weh tun, mein Kopf leer ist, und ich an nichts denke, außer an diesen einen Moment, wenn alle Lichter in ihren grellen Farben zucken, unkontrolliert, wie die Menschen um mich. Eine Nacht für den Moment leben, keine Schattenbilder, und die nächste Sekunde scheint weit entfernt, ungreifbar und doch kommt sie, und ich tanze ihr mit offenen Armen und einem Lachen auf den Lippen entgegen.

Verliebt in das Leben, in diese eine Nacht, in den Beat, in die Erinnerung bei diesem Lied aus den Neunzigern, das jeder mitsingen kann, obwohl es keiner zugeben will, lange her, lange genug, um nicht vernarbt zu sein. Ein Bild von Sommer in meinem Kopf, von einem Tag im Schwimmbad, nichts Bedeutendes, nichts Weltbewegendes, kein einschneidendes Erlebnis, einfach nur das Leben. Es besteht aus wenig bedeutenden Momenten, in denen die Welt genau da bleibt, wo sie hingehört. Ein Bild von Winter in meinem Kopf, als der Schnee noch nicht kalt war und seine Kristalle in der Sonne glitzerten. Ein Bild von Frühling, Löwenzahnsuppe kochen und einem Nachbarshund. Vielleicht war es auch Herbst.

Ich glaube, ich muss tanzen, um mich zu erinnern, an diese unbedeutenden Momente, in denen gebrochene Herzen nicht existierten, in denen die Leere nur Vakuum ohne Worte war, in denen die Welt leicht zu erobern war, in denen jeder Moment einer war, den man einfach gelebt hat ohne an den nächsten zu denken, in denen Schattenbilder auch mit der Sonne im Gesicht nicht da waren, die Augen geschlossen und den Lärm nicht gehört, weil er Randrauschen war, oder weil man sowieso mittendrin stand.

Und ich tanze bis der DJ nur noch Schrott spielt, weil er endlich nach Hause will. Aber ich liebe all diese Songs, und ich hüpfe noch auf und ab, als das Licht schon längst ein ist, ganz ohne grelle Lichtblitze. Es ist eine Nacht, die aus Momenten besteht, unbedeutend, Augenblicke voller Tagträume, ganz realen. Die Realität ausgeblendet, dem echten Leben entgegentanzend, glücklich.

Vielleicht erinnere ich mich, aber viel mehr genieße ich den Moment, diesen unbedeutenden, wiederkehrenden Moment in einer Menschenmenge tanzend, die Hände in der Luft. Die Welt ist noch immer leicht zu erobern. Jeder Moment ist einer, den ich einfach lebe, der nächste kommt bestimmt. Früher oder später. Ganz egal. Ich stürze mich in den Lärm und sauge ihn in mich auf, höre nicht, wie laut es in mir schon ist. Dieser eine Moment, nichts zugleich alles. Mutig genug, die Welt zu erobern, mutig genug, bedeutend unbedeutende Momente zu leben. Die Zeit für zu Papier gebrachte Schattenbilder und wortgefüllte Leere wird kommen, ohne dass ich warte, ohne zerbrochene Köpfe, einfach so. Bis dahin lostanzen und realen Tagträumen lauschen. 

Wenn du dich nicht in das
Leben verliebst, verliebt das Leben
sich auch nicht in dich.
Der Sternenfänger

1 Kommentar:

  1. Wow, was für ein toller Text! Bin gerade etwas geflasht! Ich liebe es, wenn Leute so toll mit Worten umgehen können.
    Habe mich hier und da in den Zeilen wirklich wiedergefunden, denn ich habe mich auch schon viel zu oft dabei erwischt, dass ich einfach das Bedürfnis hatte, mir meine Sorgen, meine Ängste oder einfach das Hier und Jetzt "wegzutanzen". Es befreit unheimlich. Genauso wie die Musik.

    ❤, Sabrina

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